Nein, ich meine nicht die Standardwegbeschreibung „Zwei Blocks in diese Richtung“ die man hier immer zu hören bekommt, wenn man z.B. nach der Librería Alemana, der am besten sortierten Bücherei Temucos (d.h. es gibt nicht nur Kinderbücher und die Bücher stehen in Regalen und nicht un Stapeln am Boden wie in der Bücherei des Einkaufszentrums), die ich nach dreimaliger Suche und zahlreichen Blocks in alle Richtungen endlich gefunden habe. Sondern eine von mir nach Temuco:
Wer wie ich das Haus verlässt, geht über die lange Einfahrt links vom Haus ca. 100 m auf die Schotterstraße zu. Dort verlassen einen dann unsere Wachhündinnen Natascha und Lady. Zwischen hohen Eukalyptus geht es am Bach entlang, aus dem die Nachbarn Trinkwasser holen und wir das Auto waschen, hin zur Kreuzung: rechts geht es weiter aufs Land (wo auch der Schulbus hinfährt), links nach Labranza. An der Kreuzung steht ein Wartehäuschen, sehr optimistisch, denn seit dem Bau vor einigen Jahren ist hier noch kein einziger Bus vorbeigefahren (der Schulbus zählt nicht, weil er nicht am Häuschen sondern direkt vor den Häusern der Kinder hält). Rechts das Haus eines Nachbarn, ein altes rotes Auto, amerikanisches Fabrikat aus den 1950ern, steht mitten im Garten und rostet vor sich hin. Ich habe dem Besitzer für 1.000 Pesos (rund 1,5) ein Nummernschild abgekauft, wie er sich gefreut hat 🙂 ! Über eine solide Holzbrücke vor der ein gewaltiges Schlagloch tief und weit gähnt geht es nun schnurgerade gut 15 Minuten bis nach Labranza. Im Bach schneidet ein Nachbar oft Kräuter um sie auf dem Markt zu verkaufen (wohlgemerkt Flussabwärts von wo wir unser Auto waschen!). Danach links Schaf- und Kuhherden im spärlichen Grün. Die Regenfälle der letzten Tage haben den Wiesen wieder etwas Leben eingehaucht und die vielen kleinen und großen Steine der Straße mit dem braunen Staub verbacken, man stolpert nun nicht mehr sooft unbeholfen über den losen Schotter. Unangenehm und beschwerlich ist es trotzdem und unweigerlich fühlt man sich an die Geschichten aller Omas und Opas dieser Erde erinnert, die den spielenden Enkeln vom beschwerlichen Schulweg früher erzählen – ich werde das dann wohl auch mal machen können – gut so vorausschauend zu leben! 😉 Am Wegesrand bettelt, immer an der selben Stelle, eine hellbraune Hündin mit drei schwarzen, zwei schwarzbraunen und einen hellbraunen Welpen um Futter und erinnert immer wieder an den guten Mendel und dessen Vererbungsregeln, bevor eine klapprige Hütte rechts Chips, Süßigkeiten und Getränke verkauft. Die Bewohner des kleinen Häuschens dahinter wollen sich wohl etwas dazu verdienen. Immer sitzt jemand darin, die Tochter, die Oma, die Mama. Zeit über die Geschlechterrollen auf dem Land in Chile nachzudenken haben die Frauen im „Kiosk“ sicher genug, denn Einkaufen habe ich dort nie jemand gesehen (wer auch? Es wohnt niemand hier der Geld hat sich Süßigkeiten zu kaufen und wenn, warum dann was Süßes???). Man selbst hat auch genügend Zeit darüber nachzudenken, den es folgen 10 Minuten Getreidefelder auf beiden Seiten mit viel gekreische von Kiebizen. Zur richtigen Tageszeit stört hier nur ein gigantischer Sonnenuntergang beim Denken und zwingt zum Träumen. Die Leute aus Labranza entsorgen hier knapp hinter der Ortsgrenze ihren Müll. Dann sieht man den Wasserturm Labranzas, anfangs rostig und hellblau, heute frisch gestrichen in dunkelgrün, durch die Eukalyptuswipfel ragen.
Man erreicht Labranza (5.000 Einwohner), genauer gesagt den Stadtteil „Los Lagos“, aber Seen gibt es keine, nur kleine bunte Sozialbauten. An der Straße erstreckt sich gut 300 m ein Spielplatz bis zur Kreuzung zum Reichenviertel. Kinder spielen Fußball, schaukeln, rutschen oder treten nach Straßenhunden die ihre Puppen klauen. Wie immer sitzt am Straßenrand eine Frau mit einer Decke auf der sie alte Kleidung und Spielsachen verkaufen will – niemals habe ich einen Interessenten gesehen, aber immer war sie da, auch beim schlechten Wetter, dann im Wartehäuschen neben der Kneipe. Wer mag kann sich an meine Beschreibung des Marktes in einem der Vororte Santiagos erinnert, man muss sich nur die Kundschaft und die Konkurrenz wegdenken. Man genießt den Betonweg, eine Wohltat für die Füße. Das dachte sicher auch der Hund, der damals fast 2/3 des Weges bis zur Kreuzung im feuchten Beton des Fußwegs gelaufen ist. Seinen, mit braunen Staub verfüllten, Spuren folgt man bis man rechts versetzt am Viertel der „Reichen“ Labranzas vorbeigeht. Wirklich Geld hat hier niemand, nur eben mehr als die Anderen, was zum Bau eines hohen Metallzauns qualifiziert. Links wird gerade ein Krankenhaus gebaut, Marcelo arbeitete dort bis hin zum Dachstuhl, jetzt brauchen sie ihn nicht mehr hieß es letzte Woche. Das Krankenhaus soll das marode Gebäude neben der Polizeistation am Hauptplatz und seinen Zahnarztwohnwagen ablösen und das ist auch gut so, ich war dort einmal zum Anschauen wie sie in der muffigenVorhalle auf den einen Arzt warteten, der den ganzen Tag nur in solchen Stationen überall um Temuco Kranke betreut. In Labranza übrigens ab 16 Uhr, was heißen soll, dass man sich um 14 Uhr anstellt um nicht ganz hinten zu sein wenn der Arzt um 19 Uhr eintrifft.
Vom neuen Krankenhaus sind es nur wenige Meter bis zum Hauptplatz, der Heriberto Neira gewidmet ist. Hier fahren alle Busse von Nueva Imperial nach Temuco vorbei und auch die Stadtbuslinien 2 und 5. Ein ausgestreckter Zeigefinger reicht und er hält an, du zahlst brav die 380 Peso (gut 50 Cent) und es geht los. Eigentlich geht es zumeist schon etwas vorher los, weil Zeit Geld ist und Türen während der Fahrt geschlossen zu halten allgemein überschätzt wird. Vorbei an der Polizei und der Krankenstation in Richtung Temuco. Warum Labranza seinen Namen nicht von ungefähr hat sieht man nach der Ortsgrenze: „labranza“ heißt im Spanischen so viel wie „Feldarbeit“ und davon gibt es rechts und links nun genug.
Im Bus trällert typisch lateinamerikanische Musik und die Insassen wippen im Takt der Schlaglöcher dazu. Es ist nicht ganz so laut wie im Schulbus, dass heißt man kann sich auf die Schilder im Bus konzentrieren. Da hängen Rutenbeschreibungen der Linie 5 und deren Variante, die Preiserhöhungen der letzten 10 Jahre (der aktuelle Preis steht an der Windschutzscheibe) und auch einige Goldstücke sind zu finden: Einige Busse haben den Aufkleber „Auch Freunde bezahlen – und gute Bekannte auch!“. Ich schmunzle da immer, weil ja nicht die Rede ist davon ist, dass Familiemitglieder auch zahlen müssen, und die haben sie hier reichlich! 😀
Der Ortseingang Temuco ist typisch, links „Altos de Maipo III“ eine reiche Siedlung und rechts ein namenloser Vorort, mit viel Graffiti und Scherben. Leute steigen zu (in Temuco kostet es ja nur noch 200 Peso) oder aus, zweimal links abgebogen, schon ist man auf der breiten vierspurigen „Via Caupolitana“, die ins Zentrum führt. Die Gebäude sind nun rechts und links hässlich und mehrstöckig. Du steigst an der Kreuzung zur „Avenida Alemana“ aus, die links zurück zum Geld führt und gehst rechts in die Innenstadt, die „San Martin“ entlang bis du zum Hauptplatz mit den vielen Palmen und dem Mapuche- und Siedlerdenkmal kommst. Schön friedlich sind sie hier alle in dem Denkmal vereint, dahinter der Glockenturm der Kirche, der gleichzeitig auch als verspiegelter Büroturm dient, und rund herum Banken, Banken, Banken. Fein geputzt und mit vielen Wachmännern werben sie mit allen Farben um dein Geld während die Sonne durch die dicke Smogwolke den Hauptplatz in einen warmen rötlichen Ton taucht. Autos hupen, Leute schnattern geschäftig und rempeln dich mit ihnen Einkaufstüten an, während sie ein „Permiso!“ (ein „Entschuldigen Sie bitte“) halb ins Handy halb zu dir im Vorbeigehen plappern. Wenn du dir schön alles so vorgestellt hast, stehst du jetzt mit mir hier in Temuco. Wir grüßen uns. Wir reden etwas. Ich muss dann man wieder los. Ich will noch was einkaufen. Pia kommt vielleicht auch noch mit.
Du kannst dich ja hier noch umschauen, oder zurück nach Labranza – den Weg kennst du ja jetzt!