Ach, was muss man oft von bösen Grippen hören oder lesen… oder gerade nicht? Am Vorabend meines Abflugs habe ich noch einen kurzfristigen Anruf bekommen wie es um die Schweinegrippe in Argentinien und Co. steht: 44 Tote, ~40.000 infiziert. Bei unserer Ankunft haben wir davon nix gehört oder gesehen. Kein Wunder, waren doch am Wochenende vorher Präsidentenwahlen und wer mag schon solch beunruhigende Nachrichten verbreiten wenn man gerade den Geruch der Korruption wenigstens für ein Wochenende hat übertünchen können. Darum schwiegen die Medien und die Leute gingen brav zur Wahl (einen Denkzettel gab’s trotzdem!). Mit Zensur hat das natürlich nichts zu tun, das nennt man Pressefreiheit. Denn wer nachher informative Interviews zeigen will, weiss was er voher nicht berichten mag. Jetzt nach der Wahl kommen sie aus den Löchern gekrochen mit ihren Warungen und Schreckensbildern, klar, wer will denn jetzt noch von der peinlichen Wahlschlappe berichten wenn man die Schweinegrippe schon vorbereitet zur Hand hat?
Und so sieht man jetzt Warnungen auf Spruchbändern, Leuchttafeln, Postern und sogar in den Medien. Gut, dass wir Pressefreiheit haben, sonst hätten wir es nämlich NIE erfahren! Und was da mit den Vorwürfen gegenüber den Politikern war erfahren die Argentinier sicher auch sobald er mal tot ist… irgendwann.
Die Leute hamstern jetzt also „Alcohól en gel“, wer zu langsam ist, muss sich mit alcohól en agua (zu gut Deutsch Spiritus) begnügen. Ein bunter Schwarzmarkt spriesst nun aus allen Ecken und Enden der Stadt, sogar die Putzfrau im Hostel bietet uns ein Fläschchen Spiritus zum doppelten Preis an. Wir lehnen danken ab, weil uns unser weisses Gesicht gerade eben in der angeblich ausverkauften Apotheke noch zu einem Fläschchen verholfen hat. 50 Cent, das ist fair. Ich bin mir aber irgendwie sicher, die Apothekerin hätte noch die angenehmere Gelvariante gehabt, wenn wir einen Anzug getragen hätten!
Nun können wir uns beruhigt immer die Hände desinfizieren, wenn uns danach ist. Nach der Busfahrt, vor dem Essen; nach dem Händeschütteln, vor dem Kratzen. Das freut die Chemieindustrie und wir werden sicher über Unregelmässigkeiten bei der Verteilung und dem Verkauf der Desinfektionsmittel erfahren sobald die Lagerbestände nach der Grippe wieder zu gross werden. Das beruhigt – wie das Spiritusfläschchen selbst…
… Wenn das nicht dieses Misstrauen wäre sobald einer Hustet oder Niesst.
Wir haben im Hostel einige Mediziner getroffen, die ein Praktikum in Buenos Aires machen. Denen ist die Grippe scheissegal. Die laufen auch im krankenhaus ohne Mundschutz zwischen den Patienten herum. Haben die jetzt eine Info die wir noch nicht haben oder waren sie auch auf die Wahrheit aus den Nachrichten? Irgendwie wäre mir mal ganz recht wenn diese Pressefreiheit etwas schneller wäre. 🙁
In Chile werden wir jetzt bestens über die Situation in Argentinien informiert. Weit über 150 Tote und Millionen infiziert. Diesseits der Anden ist die Lange viel entspannter: etwa 20 Tote und nur 15.000 infiziert. Klar, „wir haben den Verkauf der Desinfektionsmittel besser koordiniert“, sagt ein Sprecher eines Pharmakonzerns. Nach dem Kurzinterview folgt ein Beitrag zum Besuch des Präsidentschaftskandidaten der konservativen Partei bei einigen Mapuche um Temuco, man schenkt ihm einen Poncho. Meine Leute regen sich tierisch auf, was ein Konservativer bei ihrenn Leuten will, die Wählen den Affen eh nicht. Zum Schluss der Nachrichten dann das Wetter. Das ist was für Reisende, nun passen wir auf. Und so geht es weiter, gut informiert und beruhigt… und alles wird gut.