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Ab in die Wüste

Samstag, Mai 17th, 2008

Noch bin ich in Chile, noch habe ich Zeit und die will ich nutzen so gut es geht! Und was wäre da besser, nach dem Schmerz der letzten Tage, als eine gute Zeit mit Freunden? Also auf nach Viña del Mar zu den Kerschers und dann mit Sebastian, der gerade mit den Praktikum in Peru fertig ist, etwas erleben! Nach wie immer feinster Bewirtung und einem Tag in Valparaíso geht es dann mit dem Tur-Bus in einer 24-stündigen Fahrt in den Norden Chiles in die gewaltig große Wüste Atacama. Über die Hälfte der Fahrtzeit sehen wir nur das kahle Braun der staubigen Weiten, unterbrochen nur von noch kahleren und staubigeren Hügeln. Als wir dann endlich ins Bett unseres Hostels fallen ist und egal, dass es klein, schlicht und nicht im Reiseführer steht. Letzteres gefällt mir am Besten, da ich seit einigen Hostelerfahrungen, gerade in Bariloche einen Groll auf alle Hostels hege, die in so tollen „Individualreisebüchern“stehen. Individual ist da ein Scheißdreck, weil alle (vor allem Möchtegern-Weltversteher-Engländer) dorthin pilgern und diese Unterkünfte zu Pauschalreisezielen werden lassen, bei den ein Polt locker ein „Man spricht English“ (oder besser „English spoken“) drehen könnte.

Das Programm der drei Tage dort kann sich aber sehen lassen:

Tag 1:

Morgens um 4 Uhr holt uns der Bus zu den Geisiren ab. Von den rund 2.500 m San Pedros geht es dann auf Schotterstraßen hoch auf stattliche 4.300 m, bis direkt vor die Geisire, da der Touriführer wohl aus Erfahrung lieber niemanden eine kleine Wanderung in dieser Höhe zumuten will. Zurecht, zwar plagen mich keine der in der Höhe üblichen Beschwerden, aber es ist schon erschreckend, wie schnell einem dort die Puste ausgeht! Die Tatio-Geisire befinden sich im größten geothermalen Becken der südlichen Hemisphäre, welches weltweit das Höchste seiner Art ist. Schwer beeindruckt vom brodelnden, spritzenden und dampfenden Wasser, welches hier auf Grund der Höhe schon bei 85°C kocht, knipsen wir was geht. Das Bad in einem der großen Naturbadebecken sparen wir uns, weil ein eisiger Wind über die raue Landschaft zieht und wir eh schon leicht erkältet sind. Zurück geht es über Machuca, einem kleinen „indigenen“ Dorf. Ich kann nur milde Lächeln, was hier gezeigt wird hat mit Authentizität wenig zu tun, dennoch ist das Essen gut. Wir gönnen uns eine Stunde Pause bevor es um 15 Uhr zum Salzgebirge, dem Valle de la Muerte und dem Valle de la Luna geht. Spätestens jetzt verfallen auch Nicht-Geographen in Euphorie: Die Landschaft ist atemberaubend!!! So fremd wirkende Gebirgszüge, Gesteinsformen und Schluchten, alle ohne die geringste Spur auch nur des geringsten Lebens, verschlagen einem die Worte. Das absolute Highlight ist aber der Sonnenuntergang im Valle de la Luna. Wer hier zum Vollmond kommt, zahlt nicht nur doppelt so viel, er erlebt auch doppelt so viel. Doch auch ohne Vollmond überfordert der Anblick die Sinne! Nicht der Sonnenuntergang selbst, sondern sein Echo in den Wolken und Andengipfeln gegenüber rauben einem die Sprache!!! Aus orange wird ein tiefes kräftiges rot, dass alles im Osten erfasst. Bald schon wirken die Berge wie eine lodernde Glut (oder gludernde Lot!? 😀 ) mit den Wolken darüber wie Flammen. Ständig wechselt dieses Farbenspiel und lässt einen am Kameraauslöser schier Verzweifeln, weil man nicht mehr weiß wo man noch knipsen sollte und ständig wird der Anblick schöner. Ein Bild wird aber nie auch nur annähernd das wiedergeben können was man wirklich gesehen hat! Dieses Inferno hält etwa 15 Minuten an, bis es vom blau-violetten Mantel der Nacht erstickt wird und alles Land kühl und erfroren wirkt. Jetzt findet man wieder zu Worten, als erstes kommen die Superlative, dann Sätze die ein oder mehrere „noch nie gesehen“ enthalten. Danach schmeckt einem auch offensichtlich überteuertes Essen besser als sonst und träumt die Nacht über im vollen menschlich sichtbaren Farbspektrum!

Tag 2:

Heute wird es wissenschaftlicher. Nur die rosa Flamingos im grotesken Salzbecken südlich von San Pedro klingen von Farborgie des Vortags nach. Weiß wie frischer Schnee und körnig wie die Oberfläche eines Streuselkuchens so bedeckt das Salz auf den Steinen den Boden, Pflanzen gibt es nicht, nur winzige Shrimps in den kleinen Salzseen in der Mitte, die die Flamingos den ganzen Tag über herauspicken. Feinde, wie den Wüstenfuchs, gibt es kaum, weil der ungern über die spitzen salzüberzogenen Steine läuft. Danach geht es zu den Miscanti- und Meñiquelagunen (benannt nach den beiden Vulkanen nebenan) auf 4.200 m, wo wir Vicuñas und den eben genannten Wüstenfuchs in freier Wildbahn sehen. Nach dem Mittagessen in einem urigen Restaurant, das schon sehr viel näher an meine Vorstellungen von authentisch (ich habe diese noch sehr lebhaft von Temuco im Hinterkopf!) heranreicht, eine letzte Runde über den genauen Verlauf des südlichen Wendekreis und einer alten Inka-Handelsroute zu einem kleinen Ort neben San Pedro, in dem wir sehen wie man auch in der Wüste das knappe Wasser mit Hilfe von Regierungsinitiativen bis zum Totalausfall verschwenden kann. Alle scheinen schockiert, ich kenne das allerdings schon vom Süden, freue mich aber das gleiche Spiel mit etwas anderen Regeln und in neuem Kleid zu sehen 🙁 . Zu den Fakten: ein funktionierendes Wassersystem am Fluss, das kollektiv benutzt wird, wurde zu Zeiten der Diktatur „verbessert“ durch Parzellierung und Staudamm, sowie offenen Leitungen durch den ganzen Ort hin zu den einzelnen Parzellen. Die Stauung, lässt den Fluss unterhalb versanden und aus den offenen Leitungen, sowie der nun größeren Oberfläche der Stauung verdunstet noch mehr Wasser als zuvor. Heute will das tolle Bewässerungssystem Niemand mehr benutzen, weil die Landwirtschaft mehr und härtere Arbeit ist als Touristen durch die Gegend zu karren, ergo machen das die jungen Leute nicht mehr und nur noch die ältere Generation widmet sich der mühsamen Garten- und Feldarbeit. Seit einiger Zeit beginnen diese aber auch auszusterben, das darf man wörtlich verstehen. Die Früchte verfaulen reif an den Bäumen und die Parzellen wuchern zu, dies kümmert keinen, da man die in der Gastronomie San Pedros nötigen Früchte eh tiefgekühlt im LKW von Hafen Antofagastas direkt ins Lokal geliefert bekommt. Dieses Mal schmeckt das überteuerte Essen weil wir verstehen warum es so teuer ist.

Tag 3:

Um 14 Uhr geht unser Bus schon Richtung Santiago los, aber kein Grund zur Untätigkeit! Der fleißige deutsche Tourist schläft nicht aus, sondern mietet ein Mountainbike um die Umgebung im Fahrradsattel zu erkunden. Auf geht es, ehrlich gesagt auf Grund eines für Geographen üblichen Kartenleseaussetzers, zum Valle de la Muerte. Knapp 400-500 Höhenmeter überwinden wir auf den eh schon knackigen 2.500 m San Pedros. Doch nicht nur die Höhe, vor allem auch das Gefühl und der Anblick in der langen Schlucht des „Todestals“ sind atemberaubend. Am Ende des Tals versperrt eine gewaltige Düne das Weiterkommen. Wir kehren um und fahren am Fuße des Salzgebirges entlang zu den Überresten der letzten Inkafestung hier im Gebiet. Die Spanier haben ganze Arbeit geleistet, denn viel ist nicht mehr übrig am steilen Hang nahe San Pedro.

Alles in allem das absolute Highlight meines Chileerlebnisses, mit dem Wermutstropfen, dass es leider weniger Bilder gibt als möglich gewesen wäre, weil uns im Terminal in Antofagasta Sebastians Rucksack samt Kamera gestohlen wurde! 🙁 🙁  Absolut scheiße, aber Gott sei Dank habe ich auch fast 400 Bilder gemacht. Besser als nichts, oder?

Abschied 2 – Schwein gehabt

Samstag, Mai 17th, 2008

Als wir Freitag Abend von Lumaco zurückkamen ging es gleich los: Rein in alte Klamotten von Alfonso und das Schwein abholen, das in der Scheune beim Nachbaren auf uns wartete. Komisches Gefühl, das Tier so bei seinem letzten Weg zu begleiten. Neben unserer Holzhütte gab es dann die Henkersmahlzeit: frisches grünes Gras und Wasser. Nach Einbruch der Dunkelheit war das Wasser auf dem Grill am Kochen und es ging dann wirklich los. Mir raste das Herz, aber das war wohl ein Klacks verglichen mit dem was das Schwein mitmachte. Nie werde ich das kreischende Quieken beim Beine-Zusammenbinden vergessen. Das Röcheln. Das letzte Zucken. Danach machen sich die Hunde an das vergossene Blut. Hartes Erlebnis. Will’s nicht unbedingt wieder erleben, ehrlich gesagt. Auch als wir das kochende Wasser auf den leblosen Körper gegeben haben, um die Haare zu entfernen, war mir noch flau und ungut zu mute. Das änderte sich auch beim Ausnehmen natürlich nicht. Zum Schluss hievten wir das arme Schwein dann noch auf die Terrasse, wo es aufgehängt wurde um dann am Samstag zerteilt zu werden. Wer Detailbeschreibungen will, soll mich in Augsburg mal auf ein Bierchen einladen! 🙂

Abends um 19 Uhr war es dann soweit, der Grill angeheizt und der Tisch gedeckt. Pünktlich, rund 1,5 bis 2 Stunden später, erscheinen dann auch die ersten Gäste. Das mulmige Gefühl hat mich nicht verlassen, nur kommt es jetzt vom Abschied der drückend in der Luft hängt. Was soll man groß schreiben ohne zu langweilen? Wir haben bis früh morgens geratscht, gelacht und Käspatzen gegessen, die als einziges an diesem Abend auf gemischte Resonanz stießen. Mir ging es von Stunde zu Stunde blöder, weil ich mir irgendwie vorkam wie das gerade verzehrte Schwein: Nur gab es statt Gras und Wasser Gäste und Pisco Sour. Mit Tränen in den Augen verabschiedete ich vor Sonnenaufgang die letzten Gäste und legte mich kurz darauf ins Bett. Der Schlaf war eine echte Wohltat. Am Tag darauf dann echte Endzeitstimmung. Jeder war nervös, etwas neben sich und eigentlich immer den Tränen nahe. Bis wir dann um 21 Uhr ein letztes Mal schweigend nach Temuco fuhren, zum Terminal. Was soll ich schreiben ohne sentimental zu werden? Ich trockne mir im vollen Bus die Augen, wir sind schon weit nördlich von Temuco. Die letzten Worte von Rosa hallen noch in meinen Ohren nach „Du hast jetzt eine Familie hier, bei der du immer ein Bett finden wirst!“. Verloren blicke ich aus dem Fenster und fühle mich beschissen. Wie sehr man sich in zwei Monaten in der Fremde einleben kann ist jemanden schwer zu erklären, der das nicht selbst erlebt hat. Draußen durch das Fenster sehe ich auf die schwarze Leinwand der Nacht noch einmal die schönsten Momente der vergangenen Zeit in Gedanken projiziert. Es sind viele.

Bis ich einschlafe Denke ich über das Erlebte nach. Während ich mich am Samstag irgendwie wie Prometheus am Stein festgebunden fühle, dem die vielen kleinen Abschiede in die Eingeweide picken, spüre ich bei dem endgültigen Abschied aus Temuco, wie ein großes Stück meines Herzens einfach am Terminal kleben bleibt und wohl für immer dort bleiben wird. So war es in Chicago beim Abschied von den Kaufmans auch. Doch ich habe Schwein gehabt: Wieder eine super Familie gehabt, wieder eine unvergessliche Zeit, wieder ein Stück seines Herzens sicher aufbewahrt bei guten Menschen. Eine unfreiwillige, aber weit bessere, Parallele zu Rowlings Lord Voldemort und seinen Seelenteilungen denke ich und schlafe ein.

Lumaco

Mittwoch, Mai 7th, 2008

Diesen Ort kennt wohl kaum Einer. Weit ab von einer größeren Stadt wie Temuco liegt dieses Kaff nordwestlich von meinem Noch-Zuhause. Gut zwei Stunden sind wir mit Kind und Kegel durch weite Felder hin zur Küstenkordilliere und darüber gefahren. Durch die riesigen Eukalypuswälder der hier so verhassten Papierindustrie, vorbei an den Beobachtungstürmen und Kontrollstationen der Polizei mitten hinein, in eines der gefährlichsten Gebiete hier. Warum so gefährlich? Wälder und Felder von Nicht-Mapuche fangen hier leicht Feuer, weil man viel Bäume braucht um Papier zu machen. Ob durch Enteignung oder Landverkauf, die Menschen die hier leben wurden in die weniger fruchtbaren Täler um Lumaco zur Arbeitsplatzschaffung abgedrängt. Da ihnen das nicht gefällt wehren sie sich ab und zu mit Gewalt, um diese zu verhindern hat die Polizei die Beobachtungsposten errichtet um Gefahren rechtzeitig zu erkennen. Auch Straßenkontrollen gehören zum Geschäft und die sind nicht gerade zimperlich. Touristen wird abgeraten hierher zu fahren. Klar, das bedeutet mehr Arbeit für die Beamten vor Ort und am Ende noch eine Beschwerde eines Touristen wegen Polizeigewalt und/oder -willkür. Schade nur, dass man so den Einheimischen um die Einnahmemöglichkeiten des Tourismus bringt und so noch ein Stück ärmer macht.

Wir fahren aber hin, weil dort Rosas Eltern, also meine Gastgroßeltern wohnen. Hoch oben am Berg haben sie eine kleine ärmliche Hütte, eine gigantisch urige Küche in der Unmengen Chilli und Zwiebeln zum Trocknen hängen und ein extra Schlafhaus mit Betten für die ganze Familie. Wir sind von 1. auf den 2. Mai da, viel zu kurz meinen Oma und Opa. Stolz zeigen sie mir all ihre Besitztümer: das riesige Chillifeld, die Apfel- und Quittenbäume, Weintrauben, Schweine, Hühner, Truthähne und so weiter und so fort. Schade nur, dass die Felder alle an verschiedenen steilen und oftmals stark zugewachsenen Hängen sind, so ist Opa nach einigen Auf- und Abstiegen ordentlich aus der Puste. Die leichter zugänglichen Hänge zeigt er mir auch, sind ja nicht weit weg, nur eben eingezäunt und mit Eukalyptus bewachsen (klar oder?). Schade auch, dass sich dort ein Fuchs eingenistet hat, der sich so ungefährdet bis kurz vor das Haus anschleichen kann, um Opas Gänse zu holen. Sechs Stück (von 6) hat er sich schon einverleibt, und jetzt haben sie hier natürlich die Befürchtung, dass die anderen Tiere als nächstes dran sind und dann schaut es mit dem Essen diesen Winter schlecht aus, weil man mit Ende 70 nicht das Geld und die Ausdauer hat sich was im Ort zu kaufen. Früher hätte man den Fuchs im Wald gesucht und erlegt, aber versuch doch heute mal den Stacheldraht zum Wald zu überqueren und du bekommst Besuch von den Herren vom Beobachtungsposten. Tja, Sicherheit hat eben seinen Preis, gut dass den wenigstens nicht der Verbraucher zu bezahlen hat, oder?

Trotzdem schmeckt Opas selbstgemachter Kirschlikor und Chicha, genauso gut wie Omas Suppe! Und dazu hat sie mir auch noch beigebracht wie man eine richtige Chillisoße macht, das ist doch mal was wert! Und Opa hat dann auch noch sein Pferd gesattelt damit ich g’scheide Bilder mit meinem Poncho, Hut und Pferd machen kann! Das Bild unter „Rückkehr“ etwas weiter unten auf dieser Seite ist übrigens daher!

Abschied 1 – Schulschluss

Mittwoch, Mai 7th, 2008

Traurig aber wahr: Mein Praktikum ist auch schon wieder vorbei!!! Da am 1.5. Tag der Arbeit war und wir den Brückenfreitag auch gleich frei gemacht haben, war am letzten Mittwoch mein allerletzter Tag in der Schule! 🙁

Schweren Herzens bin ich also ein letztes Mal zur Schule gefahren, wo mich die Kinder gleich am Auto abgefangen haben um zu fragen ob es wirklich wahr sei, dass ich heute das letzte Mal da sei. Im Lehrerzimmer verdächtiges Schweigen. Sie haben also was vorbereitet. Eine Halbe Stunde später hat der Unterricht noch immer nicht angefangen, stattdessen wird in der Aula Tanzen geübt und mich bittet man in der „Sporthalle“ Leinwand und Beamer aufzubauen. Aha!

Kurz darauf finden sich alle Kinder und Lehrer ein, bilden einen Kreis. In dessen Mitte stehen drei Stühle, für die Direktorin, Juanitos Mutter (das Austauschkind von Chiloé) und mich. Wir setzen uns und es kommen die Kinder der 5. bis 7. Klasse in Mapuchetracht um einen Tanz aufzuführen. Den Schluss sehe ich kaum, weil mir die Tränen in den Augen stehen. Danach führen die Kinder der 8. Klasse einen klassisch chilenischen Tanz auf. Beschreiben kann ich Beides leider nicht, weil ich ehrlich gesagt emotional zu überwältigt war um aufzupassen! Die anschließende Powerpointpräsentation der Lehrer und die Dankesworte von Erna und Maribel aus der 7. (stellvertretend für alle Schüler) haben dann die Tränendrüsen endgültig zum Überlaufen gebracht, sodass ich beim besten Willen keine Dankesworte mehr sprechen konnte. So stammelte ich froschhalsig viele „Dankeschöns“ bevor ein wilder Umarmereigen seinen Lauf nahm. Kaum hatte ich ausgestammelt stürmten sie auch schon auf mich los und von allen Seiten kamen „tío, tío“-Rufe, Wünsche im Koffer mitgenommen zu werden und Verbote zu gehen. Jeder wollte noch einmal gedrückt werden, ein Foto machen, und mir sagen ich solle zurückkommen. Bei vielen sicher Höflichkeit, aber man spürt schon bei wem es ernst gemeint ist, und es waren viele.

Danach haben die Lehrer dann für mich Empanadas gemacht und wir haben im Klassenzimmer der 7. Klasse ein Abschlussessen gemacht, das eines Asterixheftes würdig gewesen wäre! … wirklich würdig? Nein, es gab noch ein Abschlussessen, das noch näher dran war an dem was man aus den Asterixheften kennt. Aber das ist eine andere Geschichte und wird ein andermal erzählt!

Friseur

Dienstag, Mai 6th, 2008

Wenn man sich knapp drei Monate im Ausland aufhält, kommt man in die zweifelhafte Ehre dort auch zum Friseur gehen zu müssen. Ich kann ja schon auf deutsch kaum sagen wie ich meine Haare gern geschnitten hätte, weil ich nie weiß was gut aussieht. Dann auch noch auf Spanisch jemanden zu erklären wie der Friseur meines Vertrauens in Deutschland schneidet vergrößert das Abenteuer dann noch etwas. Wenn man dann, wie ich, voll auf dem Land wohnt, kann man sich echt auf was gefasst machen.

Klar, ich hätte nach Temuco reinfahren können und mir einen Friseur suchen wie daheim, das ist aber langweilig. Friseure die wissen was sie tun hatte ich schon, darum bin ich eines Nachmittags nach Labranza marschiert und habe mir einen Friseur gesucht. Da gibt es gut fünf Läden, einer wie daheim, mit Stuhl und Kopfdusche, großem Spiegel und so, und vier kleine, die in Wohnhäusern untergebracht sind. Ich will nicht mehr weitergehen und geh zu dem Haus nahe dem zukünftigen Krankenhaus, ist im guten Stadtteil, muss also was sein denke ich.

Ich klopfe an der Haustür. Eine nette Dame Mitte 40 öffnet die Tür. Ich deute auf die vergilbten und ausgebleichten Frisurenbilder im Wohnzimmerfenster und frage ob sie Zeit hätte mir dir die Haare zu schneiden. Überschwänglich lächelnd bittet sie mich herein. Ich stehe nun im dunklen Wohnzimmer in dem das dicke Töchterlein Chips essend Fernsehen schaut. Ich folge der Friseuse vorbei an der Küche den Gang entlang, alles in schön in dunkelbraunem Holz gehalten, so dass man auch an einem sonnigen Tag alles Licht geschluckt wird. Hastig schließt sie die Türen rechts und links, die anscheinend die unaufgeräumten Schaf- und Kinderzimmer offenbaren würden. Und schliesslich kommen wir im hintersten Zimmer an. Das eine Fenster von der Garage verdeckt, das andere mit dicken weißen Gardinen verhängt. An den Wänden reiht sich alles was der Haushalt momentan nicht braucht, von Koffer bis hin zu alten Kinderklamotten liegt alles schön rund um das Zimmer. An der einen Wand ein schwerer Holztisch und ein alter großer schwerer Spiegel. Auf dem Tisch steht alles was man in Sachen Haar- und Körperpflege brauchen könnte. Davor ein alter unglaublich niedriger Bürostuhl. Ich setze mich und beginne wild gestikulierend zu erklären wie ich glaube, dass ich will, dass sie schneiden soll, weil der Wolfi in Augsburg das auch so machen würde. Sie nickt verständnisvoll und sagt sie glaube zu wissen was ich sagen wolle und versichert mir es genau so zu schneiden. Ich habe Angst, weil ich meine eigene Beschreibung wohl nicht verstanden hätte und die gut gemeinte Versicherung es genau so zu machen mich nur noch nervöser macht.

Doch schon geht es los: Gemächlich schnurrt der Uralt-Rasierer an meinem Hinterkopf. Noch nie habe ich einen solch gemütlichen Rasierer erlebt! Nach gut 15 Minuten ist dann der Hinterkopf fertig und die Gute macht sich an die Seiten. Dazu die üblichen Fragen die man einem Fremden stellt. Ich beantworte brav wo ich herkomme, was ich mache, und so weiter, leider ist mein Spanisch nicht so gigantisch, dass ich sooo lange reden kann wie sie und ihr Rasierer brauchen! So ist mein Pensum erschöpft als sie beginnt am zweiten Ohr zu rasieren. Gut, dass sie Verwandte in USA hat und mir nun stolz von eben diesen erzählt. Das gibt mir die Möglichkeit auf die Uhr zu schauen: Ja, die ersten 45 Minuten sind rum. Jetzt wird die Schere ausgepackt und man beginnt oben zu schneiden. Ich rutsche dazu etwas tiefer und stoße dabei die Tüte mit Wolle unter dem Tisch um. Nicht so schlimm sagt sie und erzählt von ihren Strickereien. Sie hat offenbar erkannt, dass ich nicht reden will. Passend zum Schnippen und Schnappen der Schere, das übrigens ähnlich gemütlich ist wie der Rasierer, hackt der Sohnemann der Friseuse draußen vor dem Fenster Holz. Mir scheint auch sie nimmt den ruhigen Hack-Takt ihres Sohnes auf und gleicht sich unterbewusst an dessen Tempo an. Ich betrachte derzeit die Faschen und Sprays auf dem Tisch. Hier steht wirklich alles was sie im Leben braucht und damit es nach mehr aussieht, hat sie auch Deos dazu gestellt. Ich beginne zu glauben, dass die Hälfte davon eh leer ist. Sie legt die Schere weg, als der Sohn draußen aufhört zu hacken und wieder neues Holz holt. Nach fast 1,5 Stunden beginnt sie dann zu trimmen. Ich soll im Spiegel schauen ob es so passt – als ob ich das wüsste, ohne Brille! Das Einzige was ich zweifelsfrei erkenne ist das Töchterlein, das mich vom Türstock aus heimlich beobachtet. Ich fahre mir grob durch die Haare, so erkenne ich eher ob das passt oder nicht. Es ist viel kürzer als sonst, aber passt schon. Das mit dem Gel hat sie aber nicht verstanden, jetzt sieht es scheiße aus, aber egal, morgen mach ich es dann selber, dann wird das schon. Sie ist jedenfalls stolz auf ihren Schnitt. Der Preis ist dann eine Angenehme Überraschung: 1.000 Pesos! Das sind knapp 1,50€, für fast zwei Stunden Arbeit und dazu noch fast wie daheim! Glücklich gehe ich wieder heim.

Auf dem Schotterweg nach Hause fahren dann zwei Lastwagen an mir vorbei, was heißt, dass der ganze aufgewirbelte Staub jetzt an dem viel zu dick aufgetragenen Gel klebt. Aber was soll’s, ich bin eh nur daheim heut. Zu Hause angekommen lacht die Rosa und fragt mich ob ich im Friseursalon „zur Rache“ war. Hinten hat sie sich ein wenig verschnitten, aber hat ja auch nur 1.000 Peso gekostet und Rosa hat eine Friseurschere zur Hand, zum Ausgleichen!

P.S.: Wolfgang wenn du das ließt, ich hätte gerne einen Termin in der Woche nach dem 23.05.08!!! Franz, wenn du das ließt, geh‘ zum Wolfi runter und stell sicher, dass ich einen Termin in der Woche nach dem 23.05.08 habe!!! 😀

Wegbeschreibung

Montag, Mai 5th, 2008

Nein, ich meine nicht die Standardwegbeschreibung „Zwei Blocks in diese Richtung“ die man hier immer zu hören bekommt, wenn man z.B. nach der Librería Alemana, der am besten sortierten  Bücherei Temucos (d.h. es gibt nicht nur Kinderbücher und die Bücher stehen in Regalen und nicht un Stapeln am Boden wie in der Bücherei des Einkaufszentrums), die ich nach dreimaliger Suche und zahlreichen Blocks in alle Richtungen endlich gefunden habe. Sondern eine von mir nach Temuco:

Wer wie ich das Haus verlässt, geht über die lange Einfahrt links vom Haus ca. 100 m auf die Schotterstraße zu. Dort verlassen einen dann unsere Wachhündinnen Natascha und Lady. Zwischen hohen Eukalyptus geht es am Bach entlang, aus dem die Nachbarn Trinkwasser holen und wir das Auto waschen, hin zur Kreuzung: rechts geht es weiter aufs Land (wo auch der Schulbus hinfährt), links nach Labranza. An der Kreuzung steht ein Wartehäuschen, sehr optimistisch, denn seit dem Bau vor einigen Jahren ist hier noch kein einziger Bus vorbeigefahren (der Schulbus zählt nicht, weil er nicht am Häuschen sondern direkt vor den Häusern der Kinder hält). Rechts das Haus eines Nachbarn, ein altes rotes Auto, amerikanisches Fabrikat aus den 1950ern, steht mitten im Garten und rostet vor sich hin. Ich habe dem Besitzer für 1.000 Pesos (rund 1,5€) ein Nummernschild abgekauft, wie er sich gefreut hat 🙂 ! Über eine solide Holzbrücke vor der ein gewaltiges Schlagloch tief und weit gähnt geht es nun schnurgerade gut 15 Minuten bis nach Labranza. Im Bach schneidet ein Nachbar oft Kräuter um sie auf dem Markt zu verkaufen (wohlgemerkt Flussabwärts von wo wir unser Auto waschen!). Danach links Schaf- und Kuhherden im spärlichen Grün. Die Regenfälle der letzten Tage haben den Wiesen wieder etwas Leben eingehaucht und die vielen kleinen und großen Steine der Straße mit dem braunen Staub verbacken, man stolpert nun nicht mehr sooft unbeholfen über den losen Schotter. Unangenehm und beschwerlich ist es trotzdem und unweigerlich fühlt man sich an die Geschichten aller Omas und Opas dieser Erde erinnert, die den spielenden Enkeln vom beschwerlichen Schulweg früher erzählen – ich werde das dann wohl auch mal machen können – gut so vorausschauend zu leben! 😉 Am Wegesrand bettelt, immer an der selben Stelle, eine hellbraune Hündin mit drei schwarzen, zwei schwarzbraunen und einen hellbraunen Welpen um Futter und erinnert immer wieder an den guten Mendel und dessen Vererbungsregeln, bevor eine klapprige Hütte rechts Chips, Süßigkeiten und Getränke verkauft. Die Bewohner des kleinen Häuschens dahinter wollen sich wohl etwas dazu verdienen. Immer sitzt jemand darin, die Tochter, die Oma, die Mama. Zeit über die Geschlechterrollen auf dem Land in Chile nachzudenken haben die Frauen im „Kiosk“ sicher genug, denn Einkaufen habe ich dort nie jemand gesehen (wer auch? Es wohnt niemand hier der Geld hat sich Süßigkeiten zu kaufen und wenn, warum dann was Süßes???). Man selbst hat auch genügend Zeit darüber nachzudenken, den es folgen 10 Minuten Getreidefelder auf beiden Seiten mit viel gekreische von Kiebizen. Zur richtigen Tageszeit stört hier nur ein gigantischer Sonnenuntergang beim Denken und zwingt zum Träumen. Die Leute aus Labranza entsorgen hier knapp hinter der Ortsgrenze ihren Müll. Dann sieht man den Wasserturm Labranzas, anfangs rostig und hellblau, heute frisch gestrichen in dunkelgrün, durch die Eukalyptuswipfel ragen.

Man erreicht Labranza (5.000 Einwohner), genauer gesagt den Stadtteil „Los Lagos“, aber Seen gibt es keine, nur kleine bunte Sozialbauten. An der Straße erstreckt sich gut 300 m ein Spielplatz bis zur Kreuzung zum Reichenviertel. Kinder spielen Fußball, schaukeln, rutschen oder treten nach Straßenhunden die ihre Puppen klauen. Wie immer sitzt am Straßenrand eine Frau mit einer Decke auf der sie alte Kleidung und Spielsachen verkaufen will – niemals habe ich einen Interessenten gesehen, aber immer war sie da, auch beim schlechten Wetter, dann im Wartehäuschen neben der Kneipe. Wer mag kann sich an meine Beschreibung des Marktes in einem der Vororte Santiagos erinnert, man muss sich nur die Kundschaft und die Konkurrenz wegdenken. Man genießt den Betonweg, eine Wohltat für die Füße. Das dachte sicher auch der Hund, der damals fast 2/3 des Weges bis zur Kreuzung im feuchten Beton des Fußwegs gelaufen ist. Seinen, mit braunen Staub verfüllten, Spuren folgt man bis man rechts versetzt am Viertel der „Reichen“ Labranzas vorbeigeht. Wirklich Geld hat hier niemand, nur eben mehr als die Anderen, was zum Bau eines hohen Metallzauns qualifiziert. Links wird gerade ein Krankenhaus gebaut, Marcelo arbeitete dort bis hin zum Dachstuhl, jetzt brauchen sie ihn nicht mehr hieß es letzte Woche. Das Krankenhaus soll das marode Gebäude neben der Polizeistation am Hauptplatz und seinen Zahnarztwohnwagen ablösen und das ist auch gut so, ich war dort einmal zum Anschauen wie sie in der muffigenVorhalle auf den einen Arzt warteten, der den ganzen Tag nur in solchen Stationen überall um Temuco Kranke betreut. In Labranza übrigens ab 16 Uhr, was heißen soll, dass man sich um 14 Uhr anstellt um nicht ganz hinten zu sein wenn der Arzt um 19 Uhr eintrifft.

Vom neuen Krankenhaus sind es nur wenige Meter bis zum Hauptplatz, der Heriberto Neira gewidmet ist. Hier fahren alle Busse von Nueva Imperial nach Temuco vorbei und auch die Stadtbuslinien 2 und 5. Ein ausgestreckter Zeigefinger reicht und er hält an, du zahlst brav die 380 Peso (gut 50 Cent) und es geht los. Eigentlich geht es zumeist schon etwas vorher los, weil Zeit Geld ist und Türen während der Fahrt geschlossen zu halten allgemein überschätzt wird. Vorbei an der Polizei und der Krankenstation in Richtung Temuco. Warum Labranza seinen Namen nicht von ungefähr hat sieht man nach der Ortsgrenze: „labranza“ heißt im Spanischen so viel wie „Feldarbeit“ und davon gibt es rechts und links nun genug.

Im Bus trällert typisch lateinamerikanische Musik und die Insassen wippen im Takt der Schlaglöcher dazu. Es ist nicht ganz so laut wie im Schulbus, dass heißt man kann sich auf die Schilder im Bus konzentrieren. Da hängen Rutenbeschreibungen der Linie 5 und deren Variante, die Preiserhöhungen der letzten 10 Jahre (der aktuelle Preis steht an der Windschutzscheibe) und auch einige Goldstücke sind zu finden: Einige Busse haben den Aufkleber „Auch Freunde bezahlen – und gute Bekannte auch!“. Ich schmunzle da immer, weil ja nicht die Rede ist davon ist, dass Familiemitglieder auch zahlen müssen, und die haben sie hier reichlich! 😀

Der Ortseingang Temuco ist typisch, links „Altos de Maipo III“ eine reiche Siedlung und rechts ein namenloser Vorort, mit viel Graffiti und Scherben. Leute steigen zu (in Temuco kostet es ja nur noch 200 Peso) oder aus, zweimal links abgebogen, schon ist man auf der breiten vierspurigen „Via Caupolitana“, die ins Zentrum führt. Die Gebäude sind nun rechts und links hässlich und mehrstöckig. Du steigst an der Kreuzung zur „Avenida Alemana“ aus, die links zurück zum Geld führt und gehst rechts in die Innenstadt, die „San Martin“ entlang bis du zum Hauptplatz mit den vielen Palmen und dem Mapuche- und Siedlerdenkmal kommst. Schön friedlich sind sie hier alle in dem Denkmal vereint, dahinter der Glockenturm der Kirche, der gleichzeitig auch als verspiegelter Büroturm dient, und rund herum Banken, Banken, Banken. Fein geputzt und mit vielen Wachmännern werben sie mit allen Farben um dein Geld während die Sonne durch die dicke Smogwolke den Hauptplatz in einen warmen rötlichen Ton taucht. Autos hupen, Leute schnattern geschäftig und rempeln dich mit ihnen Einkaufstüten an, während sie ein „Permiso!“ (ein „Entschuldigen Sie bitte“) halb ins Handy halb zu dir im Vorbeigehen plappern. Wenn du dir schön alles so vorgestellt hast, stehst du jetzt mit mir hier in Temuco. Wir grüßen uns. Wir reden etwas. Ich muss dann man wieder los. Ich will noch was einkaufen. Pia kommt vielleicht auch noch mit.

Du kannst dich ja hier noch umschauen, oder zurück nach Labranza – den Weg kennst du ja jetzt!

Schulbus

Sonntag, Mai 4th, 2008

Als alter Fahrschüler war ich nie wirklich begeistert von den Bussen die für uns bereit gestellt wurden – klar, die Schüler arbeiten so einen Bus eh nur runter. In den USA lernte ich dann die alten Busse des RVO zu schätzen, da die Busse in den Staaten zwar recht nett aussehen, aber deutsche Schulbusse wie Luxusliner aussehen lassen. Aller guten Dinge sind bekanntlich drei, und deshalb wollte ich den chilenischen Bussen hier mal eine Möglichkeit geben sich zu behaupten. Ich zwänge mich also mit einer Horde Kinder in einen der beiden Uraltbusse unserer Schule. Er ist ein ausrangiertes Modell eines Regionalbusunternehmens, man kann die Umrisse des „N° 8“-Aufklebers noch an der dreckigen Windschutzscheibe erkennen. Damit die mitttägliche Sonne nicht gar so blendet, hat Mercedes Benz der oberen Scheibenhälfte einen dunkelgrünen Blendstreifen spendiert. Dessen Schriftzug ist aber heute das Einzige was noch an die glänzende Vergangenheit des Busses erinnert. Die schwarzen Ledersitze sind staubig braun und eingerissen. Das laute Gequassel der eng aneinander gedrängten Kinder (ich fühle mich an früher erinnert!) wird vom lauten Dröhnen des Motors übertönt als sich der Bus langsam, aber dafür ruckartig in Bewegung setzt. Ein kollektives „hui“ und eine Verlagerung aller stehenden Insassen um rund zwei Kinder nach vorne später geht es von der Schule weg auf einer Schotterstraße (wie immer in diesem Abschnitt) und das Gequassel passt sich dem Motorenlärm an. Raviolidosengroße Steine klinken sich nun auch mit ein in diese Sinfonie aus Lärm, wenn sie gegen die Bodenplatte geschleudert werden. So geht es eine gute halbe Stunde lang, immer wieder hält der Bus und ein bis drei Kinder steigen aus in das nichts dieses Landstrichs westlich von Temuco, und gehen zu ihren, zunehmend ärmlicher werdenden, Holzhäusern zwischen braunem Gras und geschnittenen Getreidefeldern. Immer das gleiche Bild: Die Kinder steigen aus, ihre bunten Rucksäcke verschwinden kurz in der vom Bus aufgewirbelten Staubwolke, öffnen ein klappriges Tor aus Holz und Stacheldraht und gehen über eine staubige braune Einfahrt hin zu einem noch klapprigeren Haus, teilweise mit traditionellem Strohdach, oft aber aus rostigem Wellblech.

Wir sind nun schon gut 45 Minuten auf der Schotterstraße unterwegs und die kleine Erstklässlerin auf dem Sitz neben mir ist längst eingeschlafen. Sie sitzt auf ihren Händen und ihr Kopf schmiegt sich an meinen Arm, während sie mit jedem Schlagloch etwas weiter vom Sitz rutscht. Ihr großer Bruder rückt sie aber immer wieder zurecht; ihm scheint es peinlich zu sein, dass sich die Kleine immer zu mir lehnt. Er selbst sieht aber, seinen müden schweren Augen nach, auch so aus als würde er am liebsten an meinem anderen Arm einschlafen. Müde sein Blick, die Segelohren sicher unter der Baseballkappe verpackt, wankt er bei jedem Stoß des Buses mehr als die anderen Kinder, die sich mit dem üblichen Kappenklau- und den-Rucksack-beim-Aussteigen-festhalten-Spielchen bei Laune halten. „Wohl ein globales Schülerverhalten“ denke ich, als der Bus abbremst um über eine viel zu enge alte Holzbrücke zu schleichen. Ich bezweifle, dass die Reifen mit voller Fläche auf der Brücke aufliegen und bemerke, dass nur noch ein paar Kinder im Bus sind. Der gesamte Bus wackelt jetzt, da kaum mehr Einer den losen Boden beschwert. Allein die Sitzbank vor mir hat rund 5 cm Spiel zu vibrieren. Das liegt aber nicht an der schlechten Befestigung am Boden, der mit ausgerissenen Bohrlöchern übersät ist, sondern vielmehr an einem anscheinend im Boden gerissenen Träger, denn die gesamte Bodenplatte schwingt mit dem Sitz besagte 5 cm auf und ab. So verursacht sie an der losen Sperrholzverkleidung der Seitenwand einen unangenehmen und unglaublich nervtötenden Lärm. Von der Ruhe auf dem Land ist nun nichts mehr zu spüren, (beim Fahrer vielleicht, falls er schon taub ist) vom Schweiß durchnässten T-Shirt am Ledersitz dafür umso mehr (Ich schreibe jetzt im kalten Herbst über den warmen Spätsommer vom März! 🙂 ). Der Kleine mit den Segelohren hat seinen schwarzen und den rosa farbenen Rucksack seiner Schwester geschultert und steigt aus, um die noch immer schlafende Kleine aus den Händen eines Achtklässlers in die Arme gelegt zu bekommen. Kaum größer als sie, meistert er diese Aufgabe trotz seiner Müdigkeit gut. So gut, dass er gar nicht wankt und seine Schwester aus Mangel an Lärm und Erschütterung aufwacht. Langsam öffnen sich ihre verschlafenen Augenlider und geben ein Paar kugelrunder schwarzer Knopfaugen preis. Dann schließt sich die Bustür laut und ruckartig und die Beiden verschwinden in der Staubwolke hinter dem Bus. Ich stelle sie mir vor, wie sie immer noch dastehen wie begossene/eingestaubte Pudel.

Als vorletzte geht eine kleine Pausbäckige (sind sie alle irgendwie, aber sie besonders!) mit Zöpfen. Sie geht vor dem Bus durch die Wolke, ihre Mama hinter dem staubigen Koloss. Irritiert blickt sie sich um, kaum größer als ihr neonfarbener Rucksack, und wischt sich den Dreck aus den Augen. Als sie von ihrer Mutter von hinten überrascht wird scheinen beide sehr glücklich zu sein, möchte man nicht glauben wenn man den Blick auf das Haus wendet. Aber ich wäre wahrscheinlich auch glücklich am Ende dieser Odyssee zu sein. Aber ich habe ja noch ein Kind und den Rückweg vor mir. Weiter geht es durch die immer öder werdende Landschaft, kaum zu glauben, dass hier noch jemand wohnt, 45 Minuten von der nächsten Ortschaft durch einen Schotterweg getrennt, weit ab von fließend Wasser. Der stille Achtklässler ist noch da. Er beobachtet mich von einigen Reihen weiter hinten. Im Englischunterricht habe ich ihn aufgerufen und nach irgendeinem englischen Wort gefragt, seine Antwort war ein beschämtes Lächeln zum Boden hin. Genauso macht er es als er bemerkt, dass ich ihn sehe. Ich lächle ihm zu, aber er scheint sich zu schämen für das was ich hier sehe. Als er aussteigt blicke ich beschämt zu Boden. Ich verstehe warum er sich schämt, nachdem ich seine Wohnverhältnisse gesehen habe. Auf dem Rückweg habe ich dann genug Zeit mir Gedanken über das Eindringen Weißer in arme Gegenden und das weit verbreitete Stereotyp vom verschlossenen, nachdenklichen und schweigsamen Indianer zu machen.

Tipp: Es lohnt sich, auch ohne Gesehen zu haben was ich gesehen habe…

P.S.: Bilder von Schulbus gibt es bereits unter „Escuela Trañi-Trañi“ zum jetzt mit anderen Augen sehen! 😉

Rückkehr!

Samstag, April 26th, 2008

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Es ist amtlich, der Tag meiner Rückkehr ist der 23.05.2008!!!

und die Stunde ist 14:25 Uhr, sofern die Air France es schafft mich pünktlich nach München zu bringen! (ich hoffe auch das Beste für mein Gepäck!!!)

Der Weitere Fahrplan sieht so aus: Praktikum noch bis 02.05.08, am Samstag, den 03.05.08 dann eine fette Abschiedsfeier mit einem ganzen Schwein, das wir am Mittwoch kaufen und schlachten, zu dem ihr alle recht herzlich eingeladen seid!!! Anreise müsst ihr selber zahlen, Übernachtung und Essen übernehme ich für Samstag!

Am 04.05.08 soll es dann nach Santiago gehen, wo ich am 06.05.08 dann den Sebastian treffe. Gemeinsam machen wir dann noch etwas Chile und Argentinien unsicher!

Und ab 23.05.08 wie gesagt dann wieder Deutschland! Wobei das Wochenende noch der Familie gehört, ab Montag dann wieder Augsburg wie gewohnt!!!

Massives Bilderupdate!!!

Dienstag, April 22nd, 2008

Es gibt wieder was auf die Augen!!!!!!!!

– Bilder aus Argentinien (ganz unten, leicht zu übersehen!)

– Markt in Temuco

– Familienbilder unter „Familienalbum“

– Bau der Ruka

– und neue Bilder unter „Escuela Trañi Trañi“

WEITERSAGEN!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

Die Bilder sind wie immer rechts unter „Links“ (wo sonst?!)

Patagonien mal anders

Sonntag, April 20th, 2008

Letztes Wochenende hab ich mal mein Visum erneuert, was heißt, dass ich mich in einen Bus nach Argentinien gesetzt habe. Patagonien soll ja schön sein, ist es auch! Nur leider habe ich Gehirnathlet meine Bergstiefel in Temuco vergessen!!! 🙁 So hab ich mir halt nur einen Tag in Bariloche gegönnt. Von der sagenhaften Andenüberquerung schwärme ich jetzt mal nicht! Bariloche ist ein typischer Touriort, in dem es nicht allzuviel zu sehen gibt, oder doch? Naja, Schokolade haben sie viel, gut und vor allem billig! Wer denkt so ein Tag in einem  5.000-Seelen-Touristenloch ist langweilig hat aber weit gefehlt. Wer einmal eine stolze Argentinierin aus dem Auto aussteigen hat sehen und beobachtet hat wie sie vor ihrer eigenen Alarmanlage erschrickt und gleichzeitig über den Gehsteig stolpert, kennt die unbezahlbaren Goldstücke des Alltags. Mit solchen offenen Augen bin ich also spazieren gegangen und es war wirklich interessant, vor allem die Kirche. Dort bin ich ohne große Erwartungen rein und war erstaunt: Ein kalter Betonbau aus den 1940ern der gotisch sein will, die Fenster mit bunten Glasbildern, aber nicht das übliche Heiligenhuldigen oder Kreuzweg zeigen! In der Bildergalerie könnt ihr sie selbst sehen, die Fenster, die Missionierung von Mapuchen zeigen, oder die Tötung eines Priesters durch die selben vom Fenster gegenüber. Aber auch einen Ingenieur mit der, anscheinend heiligen, Eisenbahn in Händen oder Politiker gibt es zu sehen! Schön mal etwas Abwechslung in der Kirche zu haben! 😀

Zurück in Chile hab ich in den Kirchen Temucos nachgesehen, aber so aufschlussreiche Bilder habe ich leider nicht mehr gefunden! 🙁

Ach ja: Patagonien ist auch im Bus der Hammer!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! Aber ich will niemand neidisch machen.